Sechs Varianten des Blicks von der Schlossterrasse über die Fontäne hoch zum Herkules
Die zentrale Achse der Parkgestaltung steht im Mittelpunkt. Diese vier Fotos sind Momentaufnahmen. Die zwei weiter unten eingefügten Bilder sind bearbeitete Ansichten.
Ausgangspunkt für diese Zusammenstellung ist das Foto oben rechts. Die Untersuchung der fünf Objekte hier soll die tiefe Beschreibung der Postkartenansicht "Panorama von Wilhelmshöhe" abrunden:
Bilder mit dem "Konzept Schlosstreppe" betrachten und nach gemeinsamen Ideen, wiederkehrenden Mustern und Bildformeln sowie nach Abweichungen, Unstimmigkeiten und Unterschieden suchen.
Das Bild links oben erfasst Besucher. Fast alle schauen der Achse folgend zum Herkules hoch, drei Personen reden dabei miteinander. Ein Herr mit Rucksack blickt nach rechts Richtung Gewächshaus. Auf der steinernen Bank sitzen eine Frau und ein Mann, neben sich ein Kind, das er mit einer Hand stützt. Die Bank hat keine Lehne. Die drei betrachten das Landschaftsbild vor ihnen, ebenso wie die beiden Herren auf den Holzbänken. Dicht hinter einer Frau im dunklen langen Mantel steht ein Herr im hellen Anzug, ebenfalls die Arme im Rücken und von den Händen gehalten. In dieser Szenerie ist ein Stimmungsbild eingefangen.
Die Gräutöne heben die verschiedenen Bildsegmente hervor. Das Herkulesmonument verliert im Gewirr der Gehölze an Kontur. Es erscheint wie ein hoher, steinerner Block. Dagegen die klare Szenerie entlang der Linie vor der Schlosstreppe mit der vom Fotokünstler erfassten Platzierung der Zuschauer im Habitus eines Verweilens und Betrachtens, ein Zwischenstopp beim Spazierengehen und einem kurzen Innehalten.
Die Postkarte ist 1957 abgestempelt. Der Park lädt ein, die Besucher lassen das Corps de Logis im Hintergrund, den von Bomben getroffenen und ausgebrannten Mitteltrakt des Schlosses. Die Kleidung und die Form des Rucksacks beim Herrn rechts deuten darauf hin, dass das Foto bereits in den frühen 1950er Jahren aufgenommen wurde und vielleicht mehrfach für den Druck von Postkarten benutzt wurde.
Mein Farbfoto darunter aus dem Jahr 2019 ist dreigeteilt. In der Bildmitte positioniert es zahlreiche Personen auf dem Bowlinggreen, die zwischen Broderie und Hang verweilen, umhergehen, sich unterhalten. Die Anlage insgesamt und die Konstruktion von Achse und Diagonale sind für sie Kulisse, einfach ein schöner Ort, um spazieren zu gehen, sich zu treffen, den Hund auszuführen. Von dieser dabei beiläufig wahrgenommenen Umgebung hebt sich in der Bildkonstruktion die Broderie ab. Fast das halbe Bild einnehmend bringen die so vielschichtig und akkurat angelegten Beete im Vordergrund den Kontrast barocker Festlichkeit ins Spiel. Der Landschaftsgarten, die Achse und auch das Herkulesmonument mit den barocken Kaskaden verlieren sich im Hintergrund.
Das Schwarz-Weiß-Foto "Panorama von Wilhelmshöhe" ist die Ansicht auf einer Postkarte, die
1907 von Cassel aus an eine Frau in Holland geschickt wurde. Ich untersuche das Bild im Verfahren einer tiefen Beschreibung. Die Einleitung dazu:
Irgendwie zieht die Fotografie unseren Blick in die Bildmitte hinein und hoch zum Herkules. Die Flächen in der unteren Bildhälfte erzeugen Weite, die sich durch die gestuften Grautöne im Baumbestand auflöst. Oben in der Mitte bleibt die Achse im helleren Grau frei. Die Personen erscheinen wie "vor die Landschaft gesetzt". Hat der Foto-Künstler nachbearbeitet, um durch verstärkte hell-dunkel Kontraste das "Gemälde" zu unterteilen? Das spielt dem ausgesuchten Blickwinkel zu, der drei Ebenen erzeugt. Mehr
Das Panorama rechts unten ist eine Weitwinkelaufnahme, mein Foto aus dem Jahr 2018. Mir geht es um die Herbststimmung und die Größe des Parks. Um die Weite zu betonen steckt in der Konstruktion die Aufforderung, von der Kugel unten links nach rechts oben zu schauen. Die Mittelache erscheint als Verlängerung des Bowlinggreens hoch zum Herkules. Kommt dabei nicht zugleich eine Diagonale in den Blick, Kugel - zwei Bänke - zwei Kleinarchitekturen? Die zwei weiß strahlenden Bänke unterhalb der gepflasterten Schlossauffahrt sind der Gegenpart zu den beiden hell aus dem Grün hervorleuchtenden Kleinarchitekturen. Die ebenfalls weiß leuchtende Linie in der Bildmitte mit den fünf Bänken am Weg vor dem Fontänenteich, trennt einerseits Bowlinggreen und Mittelachse, andererseits lenkt sie aber den Blick nach oben. In dieser Perspektivierung geht die Wahrnehmung der Herbststimmung nicht verloren. Sie passt zum intendierten Gesamteindruck, erzeugt Weite. Die Ausdehnung, die Dimensionen des Bergparks werden zusammen mit den Details sichtbar, die die Gestaltung des Bergparks so einzigartig machen.
Schauen wir uns noch die zwei anderen Panorama-Bilder an. Die Perspektivierung lenkt den Bildeindruck.
Der Druck rechts ist eine handkolorierte Lithografie, mit der Zeichnung des Kasseler Künstlers Ed. Primavesi aus dem Jahr 1800 als Vorlage. Den Abzug gibt der Verlag Geeb & Reusch heraus. Fritz Lometsch hat diesen in seine Sammlung "Kassel und Wilhelmshöhe in alten Stichen und Lithografien" aufgenommen, Arche Verlag, Kassel o. J...
Mein Scan hier zeigt ein Souvenirblatt, also ein Verkaufsobjekt.
Vom eigenwilligen Standort aus nimmt der Künstler die Achse nicht mittig in den Blick, sondern betrachtet links vom Rand des Bowlinggreens aus das Ereignis der Großen Fontäne und der Fontänen unterhalb des Herkules. Beide Wasserbilder ereignen sich nicht gleichzeitig und der Wassersturz vom Aquädukt klingt ab, wenn die Große Fontäne aufsteigt. Alles unwichtig für den Künstler. Er liefert ein Idealbild ab, das mehrere vom Bowlinggreen aus sichtbare Höhepunkte zusammen in einer Anschauung verbindet.
Steckt in dieser Ausrichtung vom Rand des Grüns aus nicht die Aufforderung an Besucher, die Gestaltung des Bergparks sowohl in Details als auch in der Gesamt- Komposition wahrzunehmen?
Der breite Weg nach rechts hoch zum Aquädukt irritiert. Die Figurinen schauen zur Fontäne und hoch zu den barocken Wasserspielen. Ihr Blick folgt der zentralen Mittelachse. Sind die Betrachter des Stiches aber nicht zugleich aufgefordert, dem im Bogen in den Bergpark hinein führenden Weg zu folgen? Der Künstler lädt dazu ein, dabei die Sicht-Achse wahrzunehmen, die entlang der Peneus-Kaskaden, also zwischen Apollontempel und Halle des Sokrates hoch zum Aquädukt führt und in Fortsetzung der Linie sogar den Merkurtempel erreicht.
Auch die Ansicht auf der Postkarte daneben bewertet die Sichtachse speziell, denn sie konzentriert unseren Blick auf die Mittelachse im Focus der barocken Kaskade weit oben links im Bild. Die Bildbotschaft: Dieses hell leuchtende Ereignis in Augenschein zu nehmen, ist die Motivation für die Besucher des Bergparks.
Die Postkarte aus dem Jahr 1918 ist untertitelt mit: Blick von der Schlossterrasse nach dem Herkules.
In die bearbeitete und nachkolorierte Fotografie ist das Bild eines Wach-Soldaten einmontiert. In der Mitte unten vor der Broderie, perspektivisch etwas zu klein geraten, präsentiert er stolz die preußische Uniform mit der Pickelhaube. Er schaut zu uns, verstärkt dabei aber zugleich unsere Irritation.
Was stimmt in der Darstellung nicht? Die so üppig springenden Wasser der barocken Kaskade unterhalb des so wuchtigen Kastens verwirren, zwei Fontänen schießen zeitgleich in die Höhe, einmal die unterhalb des Oktogons aus dem Artischokkenbassin und dann der Strahl vom Riesenkopfplateau aus, die Fontäne des Encelados. Die Wasser fließen im selben Moment auch den Kaskaden entlang hinunter zum Neptunbassin.
Dieses Szenarium erscheint real so aber nie, denn die drei Wasserbilder folgen zeitversetzt aufeinander.
Eigenwillig ist ebenso der Eindruck, den die ins Foto eingezeichnete Anordnung der beiden Fontänen zusammen mit der Pyramide und der Herkulesstatue erzeugt. Die hellweiß strahlende Farbgebung erzeugt das Bild von drei Pyramiden übereinander.
Zur Herkulespyramide gesellen sich die zwei Pyramiden im Wasserbild der Fontänen.
Das weckt die Aufmerksamkeit der Betrachter. Legt der Künstler diese Bildwirkung nicht unten im "Gemälde" der nachkolorierten Schwarz-Weiß-Aufnahme an, durch den starken Farbauftrag am Bowlinggreen und entlang der Bosketts. Erst dadurch kann sich die weiß schimmernde Kaskadenanlage so deutlich abheben. Die Bäume, das Gras, alles ist abgestuft koloriert und dunkel gehalten. Dadurch leuchten auch die Halle des Sokrates und der Apollontempel so klar als weiße Objekte hervor. Das zusammen erzeugt eine Diagonale von rechts unten nach links oben. Zu dieser eigenwilligen Interpretation passt die Bildbearbeitung des Herkulesmonuments. Dieses ragt hinter den Fontänen wuchtig empor. Es erscheint in den farbig abgesetzten vier Stufen geradezu monumental.
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