Holmes ist bereit, falsche Denkwege einzugehen. Das schadet dem Verfahren nicht, im Gegenteil.
Es schärft die Überprüfung der danach einsetzenden Denkprozesse:
> Genau beobachten und Indizien, Protokollnotizen, Beobachtungen, Mitteilungen sammeln...
> Deduktionen einleiten. Wie lassen sich die ausgewählten Daten verknüpfen?
Für die detektivische Methode zentral ist dann das Ein- und Ausschließen:
Welche Daten beziehe ich (explizit !) in die Lösungssuche ein?
Holmes lässt sich zunächst auf Vermutungen als Ausgangspunkt für die Analysen ein. So gelingen ihm treffende
Abduktionen, das sind Interpretationen des Gegebenen, die den Status von Hypothesen einnehmen. Vorläufigkeit ist elementar im abduktiven Denken, ebenso ist die Möglichkeit immer einkalkuliert, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen.
Halten die Vermutungen sowohl Plausibilitätsprüfungen als auch Gültigkeitsproben stand?
"Mal sehen!", würde Holmes sagen.
Ein anschauliches Beispiel
für das Verfahren:
Das abgeknickte Streichholz.
Über das "Mal sehen!" hinaus:
Holmes übt dieses Verfahren ständig neu, um die Sinne zu schärfen, den Verstand zu trainieren. Das macht eine Sequenz im Film deutlich. Die präzise Beschreibung der Personengeschichte von Watsons Freundin wird uns Zuschauern als ein Spiel präsentiert. Holmes folgt einer Einladung zum Essen. Im Restaurant lässt er sich von Watsons Partnerin bereitwillig dazu auffordern, seine Beobachtungsgabe unter Beweis zu stellen und etwas über sie auszusagen. Holmes kann ausgehend von einer Halskette und einem kleinen Tintenrest an einem Finger auf die Beschäftigung als Gouvernante schließen. Bei einer weiteren Interpretation liegt er dann aber sehr daneben: Er brüskiert die junge Frau, als er auf einen lange getragenen und sichtbar jetzt abgelegten Ring an ihrem rechten Finger verweist. Die Schlussfolgerung, sie habe eine längere Beziehung aufgegeben, ist falsch. Ihr Verlobter ist verstorben. Holmes Blamage wird in der Filmszene überhöht, denn Watsons Partnerin schüttet Holmes ein Glas Wein ins Gesicht.
Conan Doyles Kriminalgeschichte "Das Zeichen der Vier" beginnt sogar mit zwei solcher Beschreibungsreihen. Holmes lässt sich über ein gerade von Watson zur Post gebrachtetes Telegramm aus. Weiter dann bittet er Watson, ihm dessen Taschenuhr zu reichen, um das Erbstück genau zu betrachten und aus den sichtbaren Gebrauchsspuren, also beispielsweise Kratzern und Gravierungen, Rückschlüsse auf die Familiernverhältnisse des Besitzers, also hier seines Partners zu ziehen.
Ich habe diesen Dialog aufgenommen und zu einer Gesprächsreihe weiter "gesponnen".
Die Taschenuhr ist ein Spiel mit der Detektivischen Methode. Deutlich werden soll, wie diese Denkweise zu speziellen historischen Untersuchungen auffordern und anleiten kann. Ausgehend von offensichtlichen Spuren entstehen Vermutungen, wie die einzelnen Beobachtungsdaten zusammenhängen könnten. Das schärft den Blick und leitet zur Suche nach weiteren Indizien über.
Der Kern aller systematischen Kriminalarbeit ist das Zusammenführen und Bewerten der ausgewählten Fakten im Verfahren der Abduktion. Dazu benötigt (!) der Meisterdetektiv den Dialog. Das Hin- und Herspielen der Ausgangsdaten und die Hypothesenbildung finden im
Gespräch statt, die Gedanken werden offengelegt. Conan Doyles Vorbild, der Arzt Joseph Bell, gilt als Begründer der forensischen Kriminalistik. Vor aller Augen, öffentlich (Forum, Forensik) und im Gespräch werden die Indizien benannt, offengelegt, seziert.
Zahlreiche aktuelle Fernsehkrimis und Serien faszinieren durch die Kopplung von gründlicher, exakter Ermittlung und langsamer ideenreicher Entwicklung der Lösung - immer im Dialog und um so interessanter, je mehr die Detektive und Patologen ihre Marotten, Vorlieben und teilweise kuriosen Ideen und Vermutungen in die Dialoge einfließen lassen.
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