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Zur Parkgestaltung

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...Schloss zum Herkules

Drei Exkursionen:

Bildkompositionen
A. H. Payne, 1840er


Im Weitwinkel
G. Kobold, Serie 1800


Die Wasserkunst auf
Postkarten um 1900

Es entsteht eine klassizistische Dreiflügel-Anlage. Jussow gelingt es, das neue Schloss in das Gesamtkunstwerk Bergpark Wilhelmshöhe einzupassen.

Das alte, noch unter Landgraf Friedrich II. aufgestockte und erweiterte Lustschloss Weissenstein, grenzt zur Stadtseite hin den barocken Garten ab, auch hier auf dem Parterre findet höfisches Leben statt, in einem nach draußen reichenden "Wohnzimmer", denn es schließt direkt an das Corps de Logis an. Der Bereich ist geometrisch gestaltet, Rasenflächen, Wege, Pflanzenbeete und Hecken sind in Form gebracht. Zugleich stellt das weitläufige Parterre die Verbindung zum ansteigenden Hang, also Richtung Kaskaden und Herkules her. Es endet an dem dreipassförmigen Fontänenbassin. Rechts und links gehen Wege ab, z. B. zum Schneckenberg am Nordrand. Diesen krönt ein Apollontempel, ein allerdings instabiler Holzbau, der zusammen mit anderen Tafeln und Gerüsten aus Holz in den frühen 1790er Jahren abgerissen wird.

Jussows Vorhaben ist sehr anspruchsvoll: Er will die bestehenden Seitenflügel und den noch zu bauenden Mitteltrakt zu einer stimmigen Schlossanlage verbinden und zugleich Schritt für Schritt den barocken Park in einen Landschaftsgarten verwandeln. Genial ist, wie er wenige barocke Elemente auswählt und als wohlgeordnete Szenarien im neuen, dem englischen Stil konzipierten Park belässt. Dazu gehören die Broderien, die geometrisch in den Rasen eingelassenen Pflanzenbeete vor der Schloss-Terrasse.

Das zentral einbezogene Element ist die barock konstruierte Mittelachse. Wie gelingt hier die Verbindung von künstlich geformter und (scheinbar) natürlich belassener Parkgestaltung?

Das Bassin verliert seine geometrische Ausformung und wird zum Teich. Die kleine Insel mit der nunmehr "Großen Fontäne" rückt nach rechts, daneben leitet der Apollon-Tempel (auch Jussow-Tempel) den Blick hinüber zu den Peneus-Kaskaden, die das vom Aquädukt kommende Wasser aufnehmen und dem Fontänenteich zuführen. Vom Bowlinggreen aus betrachtet ziehen Fontäne und Tempel gerade wegen dieser Platzierung etwas (Fontäne) und deutlich (Tempel) neben (!) der Hauptlinie die Aufmerksamkeit auf sich.
Peseus und Apollon verweisen auf die griechisch antike Mythologie. Diese Platzierung im Gartenbild drängt aber zugleich dazu, auch die in der Mittelachse angesiedelte Götterwelt wahrzunehmen, markiert durch die Plutogrotte neben der Teufelsbrücke und oberhalb davon mit dem Neptunbecken.

Nicht zufällig ist hier der Teich zwischen Plutogrotte und Neptunbecken im Zuge der Neugestaltung ausgehoben worden. In ihm sammeln sich die von der barocken Kaskade abfließenden Wasser mit dem vom Aschteich herbeigeleiteten Wasser. Das "barocke" Wasser steht dem romantischen Wassertheater zur Verfügung.

Zurück zum barocken Geschehen unterhalb des Oktogons.
Weit oben ragen wuchtige Felsbrocken aus dem Erdinnern. Sie bilden den Hintergrund für die barocke Szenerie des Riesenkopfbeckens. Dort drückt der vom Helden besiegte Riese Encelados seinem Bezwinger einen 12 Meter hohen Wasserstrahl entgegen. Darüber, also direkt unter dem Plateau des Oktogons, scheinen die springenden Wasser aus dem Artischockenbassin in einer Fontänenanordnung den Sieg zu feiern. In der Grotte dahinter, fast verborgen in einer Nische, sitzt Pan. Er spielt die Flöte und erwartet die Besucher, die sich vom überraschend aufsteigenden Vexierwasser erheitern lassen, das aus den im Boden verborgenen Düsen springt.

Die Abfolge der einzelnen Szenen des Wassertheaters zurück lassend stellt sich jetzt die Frage, wie Jussow die Wahrnehmung noch stärker beeinflusst und unseren Blick ungezwungen lenkt. Die gesamte Umgestaltung rund um den Fontänenteich bis hinunter zur Schlossterrasse ist der Schlüssel. Es ist Jussows Idee, mit dem an zwei Seiten bepflanzten Bowlinggreen von der Hauptachse etwas abzulenken. Er positioniert unsere Aufmerksamkeit.
Der Blick von der Schlossterrasse aus erfasst zunächst die Halle des Sokrates. Das gelingt gerade weil sich diese Kleinarchitektur scheinbar etwas in einem Boskett (Gebüsch) versteckt, aber gleichzeitig genügend sichtbar bleibt, um den kleinen Tempel mit ionischem Säulengang ins Auge zu fassen. Nehmen wir nicht dann eine Diagonale war, von der Halle über den Apollontempel hoch auf die doppelte Mitte der zentralen Achse zu? Doppelt meint einmal die senkrechte Linie vom Herkules hinunter zur Fontäne und zum anderen die horizontale Linie, etwas oberhalb der auf Plänen erkennbaren Geraden, auf der Aquädukt und Löwenburg die Hauptachse einrahmen. Diesen Schnittpunkt markiert die Plutogrotte mit der Teufelsbrücke südlich daneben. Hier treffen sich also die zuerst wahrgenommene Diagonale von der Halle des Sokrates aus mit einer mittlerweile nur schwer auszumachenden Diagonale, die von der südlichen Seite des Bowlinggreens aus angelegt ist und sich ebenfalls, trotz freiem, ausufernden Wuchs des Baumbestandes, denken lässt.

Interessant ist noch eine dritte Variante des gelenkten Blicks. Zahlreiche Ansichten auf Postkarten halten scheinbar zufällig eine geschickt angelegte Größenrelation der beiden Kleinarchitekturen fest. Von der Schlossterrasse in der Perspektive hoch zum Herkules erscheinen die Halle des Sokrates und der Apollontempel höhengleich zum weit oben sichtbaren Oktogon. Es liegt nahe, diese Wahrnehmung als Verweis des Oberhofbaumeisters auf die im Bergpark von ihm gewollte Symbiose von barocker Anlage und naturnah umgestaltetem Landschaftsgarten zu verstehen. 

Das ist nicht nachweisbar. Sprechen aber nicht die immer wieder gesuchten Aufnahme-Positionen für sich, als Ansichten auf Postkarten dokumentiert und durch aktuell hochgeladene Fotos in den sozialen Medien verbreitet? Fotografen und Besucher scheinen das Spiel mit der Wahrnehmung von Achsen und Diagonalen zu spüren und intuitiv den angelegten Höhenvergleich von Halle, Tempel und Oktogon zu mögen. Das wäre dann ein schöner Beweis für die Wirkung des genial angelegten Bergparks, nämlich immer wieder sowohl eine sentimentale Stimmung zu erzeugen als auch mit unserer Wahrnehmung zu spielen.

Der Gartentheoretiker Christian Cay Lorenz Hirschfeld lässt (1785) grüßen und ganz besonders die Gartenhistorikerin Marie Luise Gothein, die im zweiten Band ihrer Geschichte der Gartenkunst aus dem Jahr 1914, verlegt Jena 1926, die Umgestaltung der Wilhelmshöhe beschreibt und besonders auf die Löwenburg eingeht. "Der Fürst nahm es bitter ernst mit der Spielerei".
M. L. Gothein führt in der Einleitung zu Band 1 den Begriff "architektonischer Garten" ein. Damit definiert sie die Gartenkunst als Teil der Architektur. H. C. Jussow ist "von Hause aus" Architekt!
2 Seiten, zum Ausdrucken
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Landgraf Wilhelm IX., ab 1803 Kurfürst Wilhelm I., beauftragt Heinrich Christow Jussow 1790 mit der Planung des weiteren Schlossbaus (Mitteltrakt) und mit der Umgestaltung des Bergparks insgesamt. 1799 wird Jussow Oberhofbaumeister. Er setzt die Arbeiten von Simon Louis du Ry fort, der Weißensteinflügel wird 1790 fertig. Der Kirchflügel gegenüber ist noch im Bau, als Jussow mit Planungen für den Mitteltrakt 1792 beginnt. Sechs Jahre, bis 1798 dauert es, dieses Corps de Logis fertig zu stellen.

Hofbaumeister und Gartenarchitekt

Landschaftsgarten trifft auf Barock
7/2020: Blumenrabatte, Bowlinggreen auf Herkules, FS
Literatur-Empfehlung:
Siegfried Hoß.
Park Wilhelmshöhe.
Größter Bergpark Europas.
Kassel 2013

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