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P a r k g e s t a l t u n g . -  W a s s e r k ü n s t e  -  H. C. J u s s o w..2
Rundgänge

Weit oben ragen wuchtige Felsbrocken aus dem Erdinnern. Sie bilden den Hintergrund für die barocke Szenerie des Riesenkopfbeckens. Dort drückt der vom Helden besiegte Riese Encelados seinem Bezwinger einen 12 Meter hohen Wasserstrahl entgegen. Darüber, also direkt unter dem Plateau des Oktogons, scheinen die springenden Wasser aus dem Artischockenbassin in einer Fontänenanordnung den Sieg zu feiern. In der Grotte dahinter, fast verborgen in einer Nische, sitzt Pan. Er spielt die Flöte, erwartet die Besucher, die sich vom überraschend aufsteigenden Vexierwasser erheitern lassen, das aus den im Boden verborgenen Düsen springt.

Die Abfolge der einzelnen Szenen des Wassertheaters zurück lassend stellt sich jetzt die Frage, wie Jussow die Wahrnehmung noch stärker beeinflusst und unseren Blick ungezwungen lenkt. Die gesamte Umgestaltung rund um den Fontänenteich bis hinunter zur Schlossterrasse ist der Schlüssel. Es ist Jussows Idee, mit dem an zwei Seiten bepflanzten Bowlinggreen von der Hauptachse etwas abzulenken. Er positioniert unsere Aufmerksamkeit.
Der Blick von der Schlossterrasse aus erfasst zunächst die Halle des Sokrates. Das gelingt gerade weil sich diese Kleinarchitektur scheinbar etwas in einem Boskett (Gebüsch) versteckt, aber gleichzeitig genügend sichtbar bleibt, um den kleinen Tempel mit ionischem Säulengang ins Auge zu fassen. Nehmen wir nicht dann eine Diagonale war, von der Halle über den Apollontempel hoch auf die doppelte Mitte der zentralen Achse zu? Doppelt meint einmal die senkrechte Linie vom Herkules hinunter zur Fontäne und zum anderen die horizontale Linie, etwas oberhalb der auf Plänen erkennbaren Geraden, auf der Aquädukt und Löwenburg die Hauptachse einrahmen. Diesen Schnittpunkt markiert die Plutogrotte mit der Teufelsbrücke südlich daneben. Hier treffen sich also die zuerst wahrgenommene Diagonale von der Halle des Sokrates aus mit einer mittlerweile nur schwer auszumachenden Diagonale, die von der südlichen Seite des Bowlinggreens aus angelegt ist und sich ebenfalls, trotz freiem, ausufernden Wuchs des Baumbestandes, denken lässt.

Interessant ist noch eine dritte Variante des gelenkten Blicks. Zahlreiche Ansichten auf Postkarten halten scheinbar zufällig eine geschickt angelegte Größenrelation der beiden Kleinarchitekturen fest. Von der Schlossterrasse in der Perspektive hoch zum Herkules erscheinen die Halle des Sokrates und der Apollontempel höhengleich zum weit oben sichtbaren Oktogon. Es liegt nahe, diese Wahrnehmung als Verweis des Oberhofbaumeisters auf die im Bergpark von ihm gewollte Symbiose von barocker Anlage und naturnah umgestaltetem Landschaftsgarten zu verstehen. 

Das ist nicht nachweisbar. Sprechen aber nicht die immer wieder gesuchten Aufnahme-Positionen für sich, als Ansichten auf Postkarten dokumentiert und durch aktuell hochgeladene Fotos in den sozialen Medien verbreitet? Fotografen und Besucher scheinen das Spiel mit der Wahrnehmung von Achsen und Diagonalen zu spüren und intuitiv den angelegten Höhenvergleich von Halle, Tempel und Oktogon zu mögen. Das wäre dann ein schöner Beweis für die Wirkung des genial angelegten Bergparks, nämlich immer wieder sowohl eine sentimentale Stimmung zu erzeugen als auch mit unserer Wahrnehmung zu spielen.

Der Gartentheoretiker Christian Cay Lorenz Hirschfeld lässt (1785) grüßen und ganz besonders die Gartenhistorikerin Marie Luise Gothein, die im zweiten Band ihrer Geschichte der Gartenkunst aus dem Jahr 1914, verlegt Jena 1926, die Umgestaltung der Wilhelmshöhe beschreibt und besonders auf die Löwenburg eingeht. "Der Fürst nahm es bitter ernst mit der Spielerei".
M. L. Gothein führt in der Einleitung zu Band 1 den Begriff "architektonischer Garten" ein. Damit definiert sie die Gartenkunst als Teil der Architektur. H. C. Jussow ist "von Hause aus" Architekt!
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Historische Exkursion
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