Drei Zugänge:

1. Den Vergleich mit aktuellen physischen und politischen Kartenblättern zeichnerisch beginnen: Umrisse der Landgrafschaft nachfahren, die Grafschaften und Herrschaften markieren, nummerieren, benennen.

2. Ein Vergleich verschiedener historischer Karten verdeutlicht, dass Eintragungen im Kartenmaterial als Daten der Zeit zu betrachten sind.

3. Historische Karten lassen sich auch detektivisch untersuchen. Mit der Ausgangskarte hier oben stimmt etwas nicht. Ein Einstieg: Das Studium einer Expertise.

1. Ein Vergleich mit aktuellen physischen und politischen Kartenblättern zeigt sofort, dass es gar nicht so leicht war, exakt zu vermessen und die Ergebnisse auf Karten zu übertragen. Dieser Zugang verweist darauf, dass - von heute aus betrachtet - Einzeichnungen im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert oft fehlerhaft sind. Das betrifft alle Kartenwerke. Die kartographischen Standards für die Messmethoden wurden gerade erst (weiter)entwickelt und verfeinert. Die Verständigung auf die Ausrichtung nach Norden, das metrische System und vor allem die Einigung auf die Sternwarte in Greenwich als Bezugspunkt für den Null-Meridian findet erst 1884 (Internationale Meridiankonferenz) einen Abschluss.
Bereits 200 Jahre davor beginnen die europäischen Staaten das eigene Land aufnehmen zu lassen. Längenkreise sind der zentrale Bezug für Größenangaben und Entfernungen. Kartografen übertragen die Herrschaftsräume auf Kupferplatten. Das geschieht im Auftrag der Landesherrn oder sie bieten die gedruckten, vervielfältigten Kartenblätter zum Verkauf an.
Die Gestaltung der Kartenwerke ist auch eine Statusfrage. Der französische König Ludwig XIV. lässt den Nullmeridian durch Paris verlaufen. Die portugiesischen, spanischen und dann auch die niederländischen Kartographen übernehmen den in der Antike und auf arabischen Karten eingetragenen Ort Ferro. Diese Kanaren-Insel ist der westlichste Punkt Europas.

Geodäter (Landvermesser) sind unterwegs, entscheidend für die Genauigkeit der Ergebnisse sind die Messinstrumente. In diesem Kontext ist zu sehen, welche Bedeutung die Kasseler Sternwarten und die Anschaffung und Herstellung der technischen Geräte zur Vermessung der Welt haben. Die Landgrafen von Hessen-Kassel gehörten zu den weitsichtigen Fürsten in Europa, heute nachzuvollziehen in der herausragenden Sammlung des "Astronomisch-Physikalischen Kabinetts" in der Orangerie. Landgraf Moritz beauftragt Wilhelm Dilich (Ingenieur, Kartograf und Historiker zugleich) Landtafeln herzustellen. Ende des 17. Jahrhunderts sind exakt vermessene Landaufnahmen und die Kartenwerke dazu für Landgraf Karl ein wichtiges politisches Instrument, um Gebiets-Ansprüche zu begründen.

2. Ein Vergleich mehrerer Karten aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert verdeutlicht, dass Eintragungen im Kartenmaterial als Daten der Zeit zu betrachten sind. Liegen überhaupt exakte geographische Kenntnisse vor? Ebenso spielt die Gestaltung der Blätter eine große Rolle. Die Kartographen personalisieren ihre Werke, indem sie sich auf historische Ereignisse beziehen oder mythologisch motivierte Vignetten an den Rand setzen. Die Farben, die Umrisslinien, die Kartuschen, die Entfernungsangaben sowie ganz besonders das System der Beschriftung entsprechen dem Zeitgeschmack und der Einstellung des jeweiligen Kartenstechers oder des Verlages. Hinzukommt die Konkurrenz der Staaten. Die ersten Seefahrernationen Portugal und Spanien haben ihre Karten geheim gehalten. Die Niederlande entwickeln die Kartographie im 16. Jahrhundert entscheidend weiter und Verlage bedienen Kunden in ganz Europa. Als Großbritannien im 17. und 18. Jahrhundert unangefochten zur ersten Seemacht aufsteigt, setzt ein Wettrennen um immer exaktere Karten ein und vor allem um die Lösung des Hauptproblems, das Entwickeln eines Gradnetzes auf der Basis von Längengraden und das exakte Messen des Standortes.

3. Historische Karten lassen sich auch detektivisch untersuchen.
Mit der Ausgangskarte hier oben stimmt etwas nicht. Wie sind die Farbgebungen begründet und wie sind eine ganze Reihe von Unkorrektheiten zu interpretieren? Könnte eine Absicht dahinter stecken? Ist vielleicht bewusst eine Vorlage aus den 1640er Jahren benutzt worden und soll die Karte, in den frühen 1710er Jahren verwendet, eine politische Funktion erfüllen?
Um dieser These nachzugehen, habe ich eine Expertise erstellt. Zahlreiche Aspekte sind eingearbeitet, die auf historischen Forschungen aufbauen und Daten aus der Landesgeschichte einbeziehen. Die Expertise ist also darauf ausgerichtet, beim Studium eigenes Hintergrundwissen zur Geschichte Hessens zu erwerben und zu vertiefen.

Kartenkunde - Hessen-Kassel im Detail